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Dürfen Straßen Martin Luthers Namen tragen, obwohl er gegen die Juden war?

Für eine sachliche, differenzierende Debatte bei Berliner Straßennamen plädiert Marion Gardei, Antisemitismusbeauftragte der Landeskirche

Man sieht als Grafik den Kopf von Martin Luther, unterteilt in vier puzzleähnliche Teile, als Bild an einer Wand
Kontrovers: Soll der Name Martin Luthers aus dem Straßen(namen)bild entfernt werden, weil der Reformator in seiner späteren Zeit eine antijüdische Haltung vertrat?

Ein neues Dossier des Berliner Senats untersucht die Straßennamen nach antisemitischen Bezügen und empfiehlt Umbenennungen. 290 sind es insgesamt in der Untersuchung, die Samuel Salzborn, Ansprechpartner des Landes Berlin zu Antisemitismus, in Auftrag gegeben hat. Neben Bismarckstraße und Kaiserdamm soll auch die Martin-Luther-Straße in Schöneberg und eine Straße, die nach Martin Niemöller benannt wurde, einen neuen Namen erhalten, so lautet die Empfehlung. Weil beide Theologen sich antisemitisch geäußert haben.

Marion Gardei, Antisemitismusbeauftragte der Evangelischen Landeskirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO), äußert sich dazu wie folgt:

"Grundsätzlich begrüße ich die angestoßene Debatte um die Straßenumbenennung antisemitischer Namensgeber.  Unsere Kirche möchte sich aktiv an der Diskussion beteiligen und ihre Expertise einbringen. Ich verstehe meine Aufgabe als Antisemitismusbeauftragte der EKBO so, dass wir uns von allen antijüdischen Traditionen in Theologie und Kirche konsequent abkehren.

Vieles von traditionellem antijüdischen Gedankengut wurde inzwischen von der evangelischen Kirche aufgearbeitet und bekannt: So hat sich die Evangelische Kirche in Deutschland anlässlich des Reformationsjubiläums 2017 von Martin Luthers furchtbaren antijüdischen Aussagen offiziell  distanziert und um Entschuldigung gebeten.  Martin Luther steht trotz seiner judenfeindlichen Äußerungen, an denen es nichts zu beschönigen gibt, aber auch für die radikale Erneuerung der Kirche und des christlichen Glaubens. Deshalb ist die Auseinandersetzung mit seinem Denken für die evangelische Kirche, aber auch für unsere Gesellschaft insgesamt existenziell und unverzichtbar.

Auch das Bild von Martin Niemöller wurde entsprechend jüngster Forschungen korrigiert und in der neuen Dauerausstellung im Martin-Niemöller-Haus in Berlin-Dahlem – die in Kooperation mit der Gedenkstätte Deutscher Widerstand entstand – kritisch gezeigt. Er ist kein Held, muss mit seinen Brüchen und Fehlern kritisch gesehen werden.

Ich wünsche mir bei der Frage, welche Straßen umbenannt werden sollen, eine sachliche Debatte und eine differenzierte Einordnung. Es gibt natürlich Unterschiede zwischen dem aggressiven Antisemitismus eines Heinrich von Treitschke zu gelegentlichen abwertenden Äußerungen Theodor Fontanes. Behandelte man aber alle gleich, wären alle gleichermaßen irgendwie Antisemiten, würde das dem wichtigen Anliegen der Studie eher schaden." 

Anmerkung der Redaktion

Straßennamen in Berlin liegen in der Zuständigkeit der zwölf Bezirke. Umbenennungen erfolgen häufig auf Anregungen von Bürgerinitiativen.

Icon recommendedErinnerungskultur in der EKBO

Grundsatz des Konzeptes evangelischer Erinnerungskultur der EKBO: „Evangelische Erinnerungskultur lebt aus der von Gott ermöglichten Umkehr. Deshalb will sie die Verkehrung von Recht und Unrecht in der Geschichte bewusst machen, bekennt sich zu Schuld und Versagen der Kirche in der Vergangenheit und stellt selbstkritisch die Frage nach der gegenwärtigen Verführbarkeit und Verwicklung in Unrecht. Sie erinnert sich an ihre Vorbilder, Menschen die aus ihrem Glauben heraus in vielfältiger Weise Widerstand leisteten, nicht als unfehlbare Helden, sondern kann sie mit ihren Brüchen und Irrtümern als Kinder ihrer Zeit in den Blick nehmen.“