Zur Hauptnavigation springen Zur Suche springen Zum Inhalt springen
RSSPrint

Historiker sieht Wannsee-Konferenz als Warnung

Berlin (epd). Der Berliner Historiker und Holocaust-Experte, Peter Klein, sieht in der sogenannten Wannsee-Konferenz vor 80 Jahren auch eine Warnung für moderne Gesellschaften. Die Besprechung am 20. Januar 1942 von Vertretern der NS-Reichs- und Besatzungsbehörden sowie aus SS und Polizei zeige, dass es in hochmodernen, arbeitsteiligen Industriegesellschaften offenbar nicht so schwer sei, auf einer gemeinsamen irrationalen ideologischen Grundlage wie dem Antisemitismus ein so monströses Programm wie den Mord an den europäischen Juden umzusetzen, sagte Klein dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Berlin.

„Das Entscheidende heute ist also die Warnung“, so Klein, „dass arbeitsteilige, moderne Gesellschaften in ihren bürokratischen und politischen Strukturen nicht davor gefeit sind, dass einzelne Institutionen einen Arbeitsbeitrag leisten, der dann in Menschenvernichtung münden kann“. Dies sei das Alleinstellungsmerkmal der damaligen Konferenz.

Am 20. Januar jährt sich zum 80. Mal die Wannsee-Konferenz. Auf Einladung des Chefs der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes der SS, Reinhard Heydrich, trafen sich damals im SS-Gästehaus am Berliner Wannsee 15 Vertreter der Reichs- und Besatzungsbehörden sowie aus SS und Polizei. Einziger Tagesordnungspunkt: organisatorische Fragen zur sogenannten „Endlösung der Judenfrage“. Die Sitzung steht heute für die arbeitsteilige Zusammenarbeit von Behörden, Beamten und Parteiorganisationen am Massenmord. Zu dem Zeitpunkt war das Schicksal der Juden in Europa schon besiegelt: Mehrere Hunderttausend waren bereits bei Massenerschießungen in Ostpolen und in der besetzten Sowjetunion gestorben.

Klein, Geschichtsprofessor am Berliner Touro College, sagte mit Blick auf die heutige Bundesrepublik: „Wenn wir davon ausgehen, dass wir eine stabile Verfassung und eine stabil agierende Regierung samt zentraler funktionierender Verwaltungszweige haben, dann sind wir aktuell weit weg von damals.“ Die Gefahren lauerten in der Gesellschaft. Am Beispiel der Debatte um den Zuzug von Flüchtlingen und Migranten könne sehr gut nachvollzogen werden, dass es Tendenzen und Gruppierungen gebe, „die total vorurteilsbeladen Politik machen und Teile in der Gesellschaft ermuntern, sich offen zu solchen Ansichten zu bekennen“. „Wir müssen also doch sehr aufpassen, dass wir nicht in Situationen geraten, in denen vorurteilsbeladene Denkweisen in der Gesellschaft sich so verfestigen, dass diese irgendwann einmal Bestandteil von staatlichem Handeln werden“, sagte Klein.

Das epd-Gespräch im Wortlaut:

epd: Herr Professor Klein, 80 Jahre nach der Wannsee-Konferenz, was ist das Entscheidende dieses Jahrestages für die Erinnerung heute?

Klein: Auf der Wannsee-Konferenz am 20. Januar 1942 haben sich innerhalb von anderthalb Stunden, also in einer sehr kurzen Zeit, Vertreter von Besatzungs- und Zivilbehörden, von SS und Polizei, aber auch aus der Wirtschaft und der Partei sehr schnell darauf einigen können, ein menschenverachtendes Großprojekt wie die „Endlösung der Judenfrage“ - offenbar unabhängig vom Kriegsverlauf - durchzuführen. Aus diesem einzelnen Tagungsordnungspunkt lässt sich klar ableiten, dass es in hochmodernen, arbeitsteiligen Industriegesellschaften offenbar nicht so schwer ist, auf einer gemeinsamen irrationalen ideologischen Grundlage, in diesem Fall: der Antisemitismus, problemlos mit dem Know-how der einzelnen Institutionen dafür zu sorgen, dass ein solches monströses Programm tatsächlich auch umgesetzt wird. Das Entscheidende heute ist also die Warnung, dass arbeitsteilige, moderne Gesellschaften in ihren bürokratischen und politischen Strukturen nicht davor gefeit sind, dass einzelne Institutionen einen Arbeitsbeitrag leisten, der dann in Menschenvernichtung münden kann. Das ist das Alleinstellungsmerkmal dieser damaligen Konferenz und sollte in der Gedenkstätte „Haus der Wannsee-Konferenz“ auch im Mittelpunkt stehen.

epd: Gibt es denn heute eine ähnliche Gefahr mit Blick auf die Institutionen unserer Gesellschaft?

Klein: Wenn wir davon ausgehen, dass wir eine stabile Verfassung und eine stabil agierende Regierung samt zentraler funktionierender Verwaltungszweige haben, dann sind wir aktuell weit weg von damals. Die Gefahren beginnen in der Gesellschaft selber. Beispiel: Die Debatte um die Aufnahme von Flüchtlingen und Migranten. An der Asylfrage kann man sehr gut nachvollziehen, dass es in der bundesrepublikanischen Gesellschaft sehr wohl Tendenzen und Gruppierungen gibt, die total vorurteilsbeladen Politik machen und Teile in der Gesellschaft ermuntern, sich offen zu solchen Ansichten zu bekennen. Wir müssen also doch sehr aufpassen, dass wir nicht in Situationen geraten, in denen vorurteilsbeladene Denkweisen in der Gesellschaft sich so verfestigen, dass diese irgendwann einmal Bestandteil von staatlichem Handeln werden.

epd: Die Gedenk- und Bildungsstätte „Haus der Wannsee-Konferenz“ ist eine von mehreren Einrichtungen in Berlin, die sich kritisch mit der Zeit des Nationalsozialismus auseinandersetzen. Was ist das Einzigartige an der Villa am Wannsee?

Klein: Im Ensemble der deutschen Gedenkstätten, die sich um die Aufbereitung und Präsentation des Nationalsozialismus kümmern, kommt der Wannsee-Villa eine ganz besondere Rolle zu. Das ist diesem einzigen Besprechungsthema geschuldet, der sogenannten Endlösung der europäischen Judenfrage. Die Villa hatte ansonsten keine institutionelle Funktion, sie war ein Gästehaus der SS. Aber das Alleinstellungsmerkmal ist, dass hier - am Beispiel der 90-minütigen Besprechung auf Staatssekretärsebene - die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden dargestellt wird. Es erfolgt hier - anders als etwa in der Topographie des Terrors - eine Fokussierung auf die größte Belastung in der deutschen Geschichte, den Holocaust. Es ist ein spezifischer Ort der Täter, der mit nur einem Besprechungspunkt die gesamte internationale Dimension der Judenvernichtung deutlich macht. Wir haben in der gesamten Bundesrepublik keinen zweiten Ort, mit dem wir das moralisch-politische Verständnis der NS-Zeit auf einen Punkt konzentrieren und widerspiegeln können; sie können das weder in der von der SS genutzten Wewelsburg in Büren (Nordrhein-Westfalen), noch in den Gedenkstätten der ehemaligen Konzentrationslager oder in der Berliner Topographie des Terrors am ehemaligen Sitz Sicherheitsdienstes der SS, der Gestapo und des Reichssicherheitshauptamtes.

epd-Gespräch: Lukas Philippi